Eine liturgietheoretische Untersuchung der Kantaten Johann Sebastian Bachs im Leipziger Gottesdienst seiner Zeit
Anlass der Untersuchung ist die Unübersichtlichkeit, in welcher sich bis heute die Bachforschung in Bezug auf die Zuordnung der Musik Bachs zum Gottesdienst seiner Zeit befindet. Die Stellung der Kantaten innerhalb des Gottesdienstes wirft Fragen auf, die sich nicht liturgiehistorisch deduktiv beantworten lassen, sondern den Kontext der von Bach gewählten Libretti und musikalischen Ausdrucksformen mit berücksichtigen müssen, die sich ihrer Gattung wegen als von aussen in den Gottesdienstablauf integriert verstehen. Insgesamt bleibt das Prinzip, nach welchem Bach Texte auf die Feier des Gottesdienstes hin auswählt, umarbeitet, musikalisiert und als Sätze zu einer Kantate formt, nach wie vor ungeklärt.
An dieser „Dunkelstelle“ liturgietheoretischer Bestimmung der Bachkantaten setzt die Studie an. Aufgrund der in theoretischer Hinsicht dünnen Quellenlage, orientiert sie sich in heuristischer Absicht an einer der wenigen von Bach schriftlich festgehaltenen Reflexionen, mit denen der Komponist Musik und Gottesdienst näher aufeinander bezieht: „Beÿ einer andächtig Musig ist allezeit Gott mit seiner Gnaden=Gegenwart“. Die Auslegung dieser handschriftlichen Randnotiz zu 2 Chr. 5,13 dient als Leitfaden durch die Analyse zweier repräsentativer Querschnitte aus dem umfangreichen Kantatenwerk.
Eine umfassende Beschreibung des zeitgeschichtlichen Kontextes soll sicherstellen, dass der Untersuchungsgegenstand historisch adäquat behandelt wird.
Den Methodenkanon der Studie mitbestimmend ist der Kreis der Personen, an die sie sich richtet: Musizierende und Gottesdienstgestaltende, die an einer liturgisch relevanten Interaktion von Musik und Gottesdienst interessiert sind. Der Hypothese der Arbeit entsprechend, dass Bach tatsächlich konzeptuell an andächtiger Musik arbeitet, gerät auch die Haltung der Zuhörerschaft ins Blickfeld der Untersuchung, auf deren Andacht hin Bachs Musik ausgerichtet ist.